2021 - in the process / photo / book
DAZWISCHEN ist das deutsche Wort für POMIĘDZY. Dieses Wort beschreibt perfekt den Zustand, der mich und meine Protagonisten seit einiger Zeit begleitet. Jeder von uns ist durch eine individuelle Abfolge von Ereignissen, auf die wir oft keinen Einfluss hatten, oder durch Entscheidungen, die wir getroffen haben, in der großen Stadt Berlin gekommen. Wir alle versuchen, hier unseren Platz zu finden, was sich oft als überwältigende Herausforderung erweist. Diesen Zustand spürt man nicht, wenn man nur kurz hier ist, auf der Durchreise. Man befindet sich dazwischen, wenn man kein Tourist mehr ist, aber sich noch nicht als Einheimischer fühlt. Man bewegt sich von einem Ort zum anderen und weiß nicht, warum oder zu welchem Zweck; man versteht die Formulare nicht, die man unterschreibt und niemand erklärt sie. Man fühlst sich verloren, isolliert und muss sich jeden Tag neuen Herausforderungen stellen, ohne eine Pause, ohne ein Ende. Es geht nicht um die Stadt an sich, sondern um die Art und Weise, wie man sich in ihr zurechtfinden muss, während man versucht, nicht in dem Dschungel fremder, ungeschriebener Regeln und der Bürokratie verloren zu gehen, und gleichzeitig das Leben weiterzuführen, das man mitgebracht hat, ein Leben „aus dem Koffer“. Du bist nie wirklich „hier“.
Einkaufswagen sind für mich zu einer Metapher dieser „Fortbewegung“ geworden. Sie haben Räder, können in Bewegung sein, haben jedoch keinen größeren Einfluss auf ihre Richtung und ihr Ziel. Ich treffe sie in verschiedenen Stadtvierteln, ohne gezielt nach ihnen zu suchen. Sie stehen oder liegen dort und ich treffe sie 'unterwegs'. Es ist nicht klar, woher sie kommen und wohin sie gehen. In dieser Schwebezustand warten sie auf mich, und ich fotografiere sie. Ich mache nie Fotos von denen, die „zu“ Menschen in einer Obdachlosigkeitskrise „gehören“, weil sie ihr eigenes Schicksal haben.
Diese Beziehung, die zwischen den Einkaufswagen und dem städtischen Raum entsteht, hat mich dazu gebracht, meiner Sammlung eine bestimmte Typologie zu geben. Zwei Variablen wurden zum Schlüssel - ihr Vorkommen und ihr Zustand. Ich frage mich, ob ich in dieser Situation den "Zufall" sowohl als Ursache als auch als Wirkung betrachten kann? Wie viel Einfluss haben wir eigentlich darauf, wo wir uns an unserem aktuellen Standort befinden? Und woher kommt das Wiederholbarkeit dieser Orte?
Auf der Suche nach einem philosophischen Anhaltspunkt bin ich auf ein interessantes Zitat gestoßen, das sogar eine Art Antwort auf meine Fragen darstellen könnte:
„Stellen wir uns alle physikalischen Gesetze, die im Universum wirken, als ein großes Netz oder Gitter vor (…). In dieses Netz sind bestimmte „freie Räume“ eingewoben, die für die Wirkungen des Zufalls freigelassen wurden. Ohne sie könnte die gesamte Struktur nicht funktionieren.Noch mehr: Es gibt genau so viele freie Räume – nicht mehr und nicht weniger – damit die gesamte Struktur effektiv arbeiten kann.“

Michał Heller, „Die Philosophie des Zufalls. Eine kosmische Fuge mit Präludium und Coda.“
Aber kann sie als befriedigend angesehen werden? Da bin ich mir nicht sicher, denn jede Theorie, die sich mit dem „Zufall“ und dessen Einfluss beschäftigt, befindet sich genau dort, wo auch meine Protagonisten sind – dazwischen – und gibt keine klare Antwort, sondern bietet nur Raum für weitere Überlegungen.
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